Ostern auf Kreta
Christos anesti - Christus ist auferstanden
Frohe Ostern!
Ostersamstag, ein milder windstiller Abend – heute findet in der großen Minas-Kathedrale in Iraklion die Osterfeier statt. Diese Nacht, die so anders ist als alle anderen. Es ist jetzt 23.00Uhr – die sonst so quirlige, teils chaotische Stadt liegt ruhig da, kaum Autoverkehr – es gibt sogar Parkplätze in der Innenstadt – unglaublich. Von weitem erkennen wir die festlich erleuchtete Kirche. Viele Menschen stehen in einer langen Schlange vor dem Hauptportal, von allen Seiten strömen die Leute. Wir erwischen den Seiteneingang - jetzt werden wir beide ganz schnell – und tatsächlich kommen wir bis zu den Stufen des Hochaltars. Dicke, rote Seile trennen die Menschen vom Mittelgang. Der marmorne Fußboden der Kathedrale ist liebevoll über und über mit Lorbeerblättern, weißen kleinen Blüten und roten Rosenblättern bestreut.
Der monotone Gesang der Vorsänger ist überall zu hören. Wir sehen den Erzbischof mit seinem langen grauen Bart – er trägt ein goldbesticktes rotes Gewand, von seiner Kopfbedeckung fällt ein schwarzes Tuch auf seine Schultern. Der abgetrennte Chorbereich ist heute wohl für „very important persons“ reserviert. Hohe Würdenträger in Uniform, Herren in schwarzen Anzügen mit ihren Damen in festlicher Kleidung – auch niedliche kleine Kinder sind dabei – ein stetes Kommen. Die Kathedrale ist gefüllt mit Gläubigen, die ihre weiße Osterkerze in ihren Händen tragen. Trotz der großen Fülle herrscht hier eine wohltuende, ruhige Atmosphäre. Die Gebete und auch die Gesänge verstehe ich nicht, wohl aber immer wieder Kyrie eleison. Ein junger Mann neben mir trägt seine kleine Tochter auf dem Arm – ihre Kerze ist geschmückt wie eine Ballerina mit Spitzenröckchen – still und andächtig lauschen beide dem Gesang.
Um uns herum dicht an dicht Männer, Frauen mit frisch ondulierten Haaren, wippenden Ohrgehängen, in feierlicher Kleidung – sich immer wieder bekreuzigend.
Gegen 23.30Uhr zieht sich der Erzbischof mit seinem Gefolge hinter der Ikonostase zurück. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Plötzlich wird es im Kirchenraum dunkel, stockdunkel. Es tut sich was. Schemenhaft erkenne ich Standartenträger – sie sammeln sich. Jetzt erscheint der Erzbischof. Überrascht sehe ich, dass er das schwarze Tuch gegen ein weißes getauscht hat. In seinen Händen hält er drei brennende Bienenwachskerzen, in einander verschlungen. Die Gläubigen gehen mit ihren Kerzen nach vorne, um sich vom Erzbischof das Osterlicht zu holen und um es dann weiter zu geben. Der riesige, kunstvoll geschmiedete Kronleuchter in der Kuppel erstrahlt in hellem gleißenden Licht. In einer Prozession bewegt sich jetzt der Erzbischof mit seinem Gefolge dem Ausgang zu.
Die Menschen reihen sich ein und folgen ihm ruhig mit den brennenden Kerzen in der Hand – ein beeindruckendes Bild. Auch jetzt wieder kein Gedränge – andächtig folgen sie ihm und legen beschützend ihre Hände um die Flämmchen, damit keines erlischt oder jemanden verbrennt. Punkt 24.00Uhr erreicht die kleine Prozession den Ausgang. Die Spannung steigt.
Endlich der erlösende Ruf des Erzbischofs: Christos anesti. Jubelnd und euphorisch stimmt die Menge ein. Christos anesti hallt es immer wieder durch das Kirchenschiff.
Um uns herum lachende, strahlende Gesichter, Umarmungen, Küsse, gelebte Freude – wir werden in diesen Freudentaumel mit eingeschlossen. Christos anesti – ich drücke die Hand meines Mannes und schäme mich nicht der Tränen meiner Rührung. Soviel Inbrunst, Hingabe, Liebe und Wohlwollen hier in dieser Osternacht – das tut gut.
Jetzt wird es draußen turbulent. Auf dem Vorplatz spielt die Musikkapelle in ihren roten Uniformen, der Chor singt lautstark weiter. Soldaten des Heeres in grünen Tarnanzügen, Baskenmützen und langen Lederstiefeln stehen in Reih und Glied, erhobene Häupter, Augen geradeaus, Hand links am Gewehr. Ein lauter Befehl hallt durch die Nacht – blitzschnell saust das Gewehr über ihre Köpfe auf die rechte Seite –
Das war gekonnt! Die Posaunen der Musikkapelle setzen ein. Hier und da durchdringt ein krachender Böllerschuss die Nacht. Vom erhöhten Vorplatz der Kathedrale aus sehe ich über den engen Häuserschluchten am nachtblauen Himmel Raketen explodieren, Funkenkaskaden in allen Farben regnen auf die Erde herab und verlöschen. Ein lauter Marschbefehl, das Heer marschiert im Gleichschritt ab. Voll Erstaunen weiß ich nicht, wohin ich zuerst schauen soll.
Ganz langsam leert sich der Platz. Wir betreten noch einmal die Kathedrale und sind überrascht, wie viele Menschen hier immer noch versammelt sind und beten. Auf unserem Nachhauseweg sehen wir immer wieder Leute, die ihr Osterlicht behutsam zu sich nach Hause tragen, selbst in den vorbeifahrenden Autos flackert es noch. Welch ein großes Erlebnis – Christos anesti – Frohe Ostern!
Dorothée Jacobs